Die „Find my“ – Funktion in Apples Geräten verwende ich mindestens einmal in der Woche, wenn ich mein Smartphone wieder einmal verlegt habe. Das ist schon eine praktische Sache – ich kann das Gerät piepen lassen oder Orten, wenn ich nicht sicher bin, ob ich es nicht doch bei meinen Eltern vergessen habe.
Auf den ersten Blick ergeben die für iOS 15 geplanten Neuerungen daher durchaus Sinn. Es ist unter anderem geplant, auch Geräte orten zu können, die ausgeschaltet sind. Sollte ein Gerät gestohlen werden, dann ist es oft so, dass Diebe versuchen, die Geräte weiterzuverkaufen, etwa auf Flohmärkten oder auf Internetplattformen wie eBay. Um den Weiterverkauf von gestohlenen Geräten zu erschweren, verfügen zum Beispiel iPhones über eine Aktivierungssperre. Die Täter können das gestohlene Gerät weder nutzen noch weiterverkaufen – es ist ungefähr so nützlich wie ein Ziegelstein. Täter schalten ein gestohlenes Gerät meist sofort nach dem Diebstahl aus, um eine Ortung zu verhindern. Diese Option fällt nun weg, da sich die Geräte selbst in ausgeschaltetem Zustand orten lassen. Und selbst wenn ein Dieb das Gerät auf Werkseinstellungen zurücksetzt, könnte ich es noch immer orten, solange es nicht aus meinem Apple-Account gelöscht ist.
Die Kehrseite der Medaille
Es gibt jedoch einen Bereich, in dem diese Änderungen absolut fatal sind und gravierende Nebenwirkungen haben können. Beispielsweise in Fällen, in denen sich Frauen in ein aufgrund von häuslicher Gewalt in ein Frauenhaus begeben haben. Kann der Partner das ausgeschaltete Gerät orten, kann er auch den Aufenthaltsort herausfinden. Das ist – vorsichtig gesagt - bedenklich, denn es gibt gute Gründe dafür, dass die Adressen von Frauenhäusern und ähnlichen Einrichtungen für Menschen in Not nicht öffentlich sind. Mit der Ortung eines ausgeschalteten Gerätes würden solche Schutzmaßnahmen hinfällig.
Sollte diese Technologie wirklich wie angekündigt funktionieren, dann reicht es für Frauenhäuser bald nicht mehr aus, die Geräte am Eingang auszuschalteten. Das Gerät komplett aufzugeben und zurück zu lassen würde dann zum einzigen Ausweg. Diese Situation ist alles andere als ideal.
Apple erweitert auch die AirTag-Technologie, die aus ähnlichen Gründen bereits auf Kritik gestoßen ist: So lassen sich Warnungen einrichten, wenn ein jemand ein Gerät sich nicht mehr in der Nähe befindet. Hier ergibt sich schlimmstenfalls die Konsequenz, dass ein eifersüchtiger Partner beispielsweise ein AirTag an passender Stelle deponiert, um eine Warnung zu erhalten, wenn der Partner oder die Partnerin das Haus verlässt. Damit wird die Technologie für Betroffene effektiv zu einer elektronischen Fußfessel.
Immerhin hat Apple kurz nach der Markteinführung der AirTags auf die Kritik von Experten gehört und eine Funktion nachgerüstet, die Nutzer warnt, wenn ein unbekanntes Airtag sich in der Nähe befindet. Damit wäre zumindest der Fall abgedeckt, in dem ein eifersüchtiger Partner ein AirTag in einer (Jacken-)Tasche oder im Auto versteckt.
Privacy by Design gegen Komfort
Damit hier nicht der falsche Eindruck entsteht: Ich unterstelle Apple nicht, dass sie wissentlich und bewusst die missbräuchliche Verwendung von Technologie vorantreiben. Denn im Kern ist der Gedanke hinter einigen der Funktionen durchaus positiv. Ich unterstelle allerdings, dass die Entwickler einfach nicht an den richtigen Stellen nachgedacht haben. Wann immer ein Unternehmen – egal, ob nun Apple oder ein beliebiger anderer Technologieanbieter – neue Wege in der Produktauswahl beschreitet, muss auch immer die Frage im Raum stehen, wie sich ein neues Produkt missbräuchlich nutzen lässt.
Generiert ein Gerät Daten, deren Nutzung eine unmittelbare Gefahr für andere Menschen bedeuten kann, ist ein Umdenken erforderlich. Zu diesem Thema gibt es derzeit auch erste Bemühungen, Richtlinien für die Entwicklung zu entwerfen, etwa über die IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers). Auch IBM hat Designprinzipien entworfen, die die technologische Entwicklung speziell mit Blick auf häuslichen Missbrauch beleuchtet. Gerade, wenn es um Geräte geht, die für viele Menschen Kommunikationsplattform, Identitätsnachweis und Mittel zur Selbstverwirklichung sind. Für die meisten Smartphone-Besitzer gehört das Gerät zum privatesten, das man überhaupt haben kann. Auch die international operierende Coalition against Stalkerware hat sich dem Thema des technologiegetriebenen Missbrauchs gewidmet und hält für Betroffene und für Hilfsorganisationen umfangreiches Informationsmaterial und praktische Hilfestellungen bereit.