30.08.2019

Happy Birthday, Internet: Ein ganz persönlicher Rückblick

Ein ganz persönlicher Rückblick

Meine erste Begegnung mit Computern war – wie bei so vielen Angehörigen meiner Generation – der Commodore 64. Mein erster eigener Computer: ein Amiga 500 Plus (mit 1 MB RAM!). Das war noch ein komplettes Offline-Dasein. Ghosts’n’Goblins, Gianna Sisters, Boulder Dash, Lotus Turbo Challenge, unfassbar geile Demos (falls irgendjemand von Red Sector / RSI hier mitliest: DANKE, DANKE, DANKE!). Meine Eltern waren wenig begeistert davon, wie viel Zeit ich an der „Kiste“ verbrachte. Den Amiga habe ich auch bis ca. 1997 benutzt, bis er von einem P133 abgelöst wurde – mit einer 40 GB Festplatte, von der ich damals überzeugt war, dass ich sie meinen Lebtag nicht voll bekäme. Heute würde allein das Rohmaterial eines meiner wöchentlichen YouTube-Videos ein Viertel davon belegen. 

Erster Kontakt

Es muss 1994 oder 1995 gewesen sein, als ich das erste Mal mit dem Internet in Berührung kam. So genau weiß ich das nicht mehr. Das war in der Schule, Raum 352: Blassgrün gestrichene Wände, dunkelbrauner Linoleum-Boden und dieser Geruch nach erhitztem Staub, Papier und Putzmitteln – in manchen Amtshäusern riecht es noch heute so. Das Tor zum Internet öffnete eine olle IBM-Gurke mit Monochrom-Amber-Monitor, die damals schon nicht mehr die Schnellste, dafür aber höllisch laut war. Meine ersten Gehversuche beschränkten sich auf Texte schreiben, die nie wieder jemand lesen würde und auf Turbo-Pascal. Ich habe es gehasst – auch Delphi konnte später meine Liebe fürs Programmieren nicht entfachen. Mehr als das obligatorische Basic-Programm „10 PRINT HALLO 20 GOTO 10“ habe ich nie zuwege gebracht. E.Mails ließen sich an der Maschine schreiben, aber das erforderte die Aufsicht des Lehrers. Und ich hätte außerhalb der Schule ohnehin niemanden gehabt, dem ich Mails hätte schreiben können (oder wollen). Und eine Antwort auf meine erste Mail habe ich nie bekommen. 

Ins Internet konnte ich zu Hause zwar auch, aber das war lange noch beschränkt auf ein nach heutigen Maßstäben sehr langsames Dial-Up-Modem. Mir standen sagenhafte 56.6kbit Baudrate zur Verfügung. Und ich durfte auch nur dann ins Internet, wenn meine Mutter gerade mal nicht telefonierte, was nur selten vorkam. Bei einem Bekannten hatte ich die Gelegenheit, mit einem Akustikkoppler zu spielen – für mich immer noch eines der Geräte mit dem Höchsten Coolnessfaktor Ever™.

Es geht weiter

In der Oberstufe war „Technik“ mein Lieblingsfach, denn im Raum standen überall PCs, die mit dem Internet verbunden waren. Die gängigen Betriebssysteme: Windows 95, 98 und NT4. Altavista, Yahoo und Lycos waren die Suchmaschinenkönige, und interessante Texte fanden wir auf Mailinglisten und in Foren. Innerhalb des Netzwerks trieben wir Schabernack mit Programmen wie BackOrifice. Es mag abgedroschen klingen, aber es war schon irgendwie eine unschuldige und freie Art des Internets. Und vor allem….anders. Kein Google, von Facebook keine Spur und auch Dinge wie Vorratsdatenspeicherung war noch kein Thema. 

Irgendwann kurz vor meinem Abitur folgte der nächste Schritt: Eine DSL-Leitung. Jetzt konnte uns eigentlich nichts mehr aufhalten. Der „Haupt-PC“ stand im Zimmer meines Bruders – einfach, weil das am nächsten an der Telefondose lag. Die Verbindung in mein Zimmer lief über ein langes Netzwerkkabel, das irgendwie quer durch die gesamte Wohnung lief. Das Konzept „Flatrate“ haben  meine Eltern nicht sofort verstanden („Es kann ja wohl nicht sein, dass man für die Minuten einfach nichts bezahlen muss, das geht überhaupt nicht!“), was sich aber recht schnell änderte. Die erste Verbindung mit dem neuen Datenhighway sorgte aber gleich für Ernüchterung. Kaum mit dem Netz verbunden, fuhr der PC direkt runter. Hochgefahren, neu verbunden – und plötzlich erschien ein Timer auf dem Bildschirm, der mir sagte, dass in 60 Sekunden der Rechner heruntergefahren würde. Ja, mein Willkommensgruß aus dem Highspeed-Internet hieß Sasser.A. 
Na, schönen Dank auch. 

Und heute?

Seit Sasser hat sich viel verändert. Wo damals noch ein Wettrennen zwischen dem Timer zum Runterfahren des Rechners und dem Downloadbalken für das Windows-Update stattfand, läuft heute alles automatisch. Das Internet hat eine ganze Menge Möglichkeiten geschaffen – sowohl positive als auch negative. 

Liebes Internet: Zugang zu Informationen für alle – mit dieser Mission bist Du damals geschaffen worden. Heute vor 50 Jahren. Als kleiner Rechnerverbund zwischen ein paar Universitäten hast Du angefangen. Ganze vier Nutzer hattest Du. Heute sind es rund vier Milliarden – fast die Hälfte aller Menschen. Nicht schlecht für eine Technologie, von der viele in den 80ern sicher waren, dass sie nur eine Modeerscheinung wäre, die sich nie durchsetzen würde. Mittlerweile hast Du viele Menschen jedoch überholt. Sie sind überfordert mit Deinen Möglichkeiten und verfallen angesichts all der Chancen und Risiken in eine Art Schockstarre und vollständige Apathie. Viele moderne Dinge sind auf altehrwürdigen Fundamenten erbaut, die aber heute nicht mehr das leisten können, für das sie mal gebaut wurden. Ich erinnere mich da noch an den wunderbaren Begriff "Internetausdrucker" - immer mehr dieser Menschen mit immer weniger Sachkenntnis treffen immer weitreichendere Entscheidungen über Dich und die Art und Wese, in der Du eingesetzt wirst.    

Wo ich 1996 neidisch auf Captain Picard schaute und die Tatsache, dass er einen Computer alles fragen konnte und innerhalb von Sekunden eine Antwort bekam, bin ich heute skeptisch, ob das wirklich so eine gute Idee ist – eben, weil der Computer immer mithört. Andererseits: In der Wohnung zu stehen und per Stimmkommando das Licht steuern oder mir den Wetterbericht und die Nachrichten vorlesen lassen zu können, hat einen gewissen Reiz. So ein bisschen Picard- und Iron-Man-Feeling kommt da schon auf. Jede Information, die mich potenziell interessieren könnte, kann ich im Netz suchen und auch finden. Das Wissen der Menschheit liegt im wahrsten Sinne des Wortes in meiner Hand – und trotzdem schaue ich mir (manchmal zumindest) lieber Katzenbilder an. 

Aber auch Kriminelle haben Dich für sich entdeckt. Sie missbrauchen Dich, um zu stehlen, zu erpressen, zu spionieren oder andere in den Selbstmord zu treiben. Anstandsregeln gelten bei vielen nicht mehr, sobald sie im Internet sind – sie sagen Dinge zu anderen Menschen, die sie sich in der Realität nie trauen würden, aus Angst vor Konsequenzen. Das ist schade. Aber Du kannst nichts für Deine User. Deine große Stärke ist gleichzeitig auch Deine größte Schwäche: Jeder kann alles schreiben und über Dich in die Welt tragen. Die Menschen, die heute das erste Mal ins Netz gehen, haben nie eine Welt ohne Dich kennen gelernt. Sie wissen nicht, was sie ohne Dich überhaupt tun sollen. Man schaue sich einfach nur mal auf der Straße oder im Bus morgens um: Fast alle starren auf irgendein Display und surfen durchs Netz. Oder spielen übers Netz. In jedem Fall sind sie mit Dir verbunden. Manchmal wäre es allerdings schön, wenn mehr Leute einfach mal bewusst abschalten würden – im wahrsten Sinne des Wortes. 

Tja, Internet – Du hast eine Menge geschafft in Deinem Leben. Du hast auch einiges ziemlich gründlich verbockt. Und mit einigen Sachen hast Du anscheinend ein Problem. Doch Du kannst nichts für Deine User. 
Insgesamt bist Du schon in Ordnung. In diesem Sinne: Alles Liebe zum Geburtstag, Internet!


Tim Berghoff

Tim Berghoff

Security Evangelist

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